Gedanken zum 8. Mai 2020

75. Jahrestag der Befreiung

Ehrenmal Schönholz
Ehrenmal Schönholz

Unsere Stadtväter hatten den 8. Mai in diesem Jahr als Feiertag in Berlin geplant. Unter Freunden fragte man sich, was in Coronazeiten möglich wäre. Festveranstaltungen und gewaltige Demonstrationen kamen nicht in Frage. Da sprach sich hier in Pankow eine andere Art des Gedenkens herum. Orte des Gedenkens an die Befreiung vom Faschismus begegnen uns oft auch im Stadtbezirk. Und so machten wir uns auf den Weg.

Zuerst gingen wir in die Mittelstraße in Pankow-Nordend. Dort waren wir schon am 4. Mai 2020 an der Gedenktafel vom Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky (1889-1938), wo wir zum 82. Todestag dieser bedeutsamen Persönlichkeit eine schöne Rose anbrachten. Ein Nelkenstrauß kam nun dazu.

Gedenktafel Für Carl von Ossietzky

In der Schönhauser Straße 33c, ganz in der Nähe obiger Straße, gibt es an dem Reihenhaus bisher keinen empfehlenswerten Gedenkhinweis. Drei mutige Menschen, die Geschwister Edith und Rosa Fürst und Mann Siegfried Adler, haben hier ein kleines Heim für Waisenkinder von Juden und verfolgte Eltern betrieben, bis sie aus der sogenannten „Polizistensiedlung“ verbannt wurden. Vor der 33c legten wir auf einer Mauer einen Strauß mit einem kurzen Hinweis ab. Eine Bewohnerin trat aus der Haustür als wir gerade gehen wollten. Sie kannte die Geschichte des Hauses und begrüßte unser engagiertes Tun mit Interesse.

Neues zu berichten gibt es auch aus der Schönhauser Straße 41 vom Heim Maria Frieden. In der nahegelegenen Ahornallee ist der Sozialdienst katholischer Frauen anzutreffen. Hier, bei dieser Adresse, wurde im letzten Jahr einer stillen Heldin, Frau Margarete Sommer (21.7.1893-30.6.1965), gedacht. Sie war eine katholische Sozialarbeiterin. Während des Holocaust half sie verfolgten jüdischen Bürgern, bewahrte viele Menschen vor der Deportation in Vernichtungslager.

Am Straßenschild von der Pfarrer-Lenzel-Straße hatte schon jemandeine rote Nelke zum Gedenken angebracht. Dazu kam dann unser Fliederstrauß. Pfarrer Lenzel (1890-1942) wirkte an der katholischen Kirche in der Platanenstraße in Niederschönhausen. Er predigte auch für polnische Zwangsarbeiter im Lager Schönholz, wobei er streng überwacht und in das Konzentrationslager nach Dachau verschleppt und dort ermordet wurde. 

An der Pfarrer-Lenzel-Straße, Ecke Waldstraße sprach uns ein junger Mann mit Namen Oliver Groß an, der uns als Anwohner seine Gedanken zu diesem Feiertag mitteilte und unsere Initiative sehr begrüßte.

Danach war es nicht weit bis zur Kuckhoffstraße, wo uns an der Kreuzung Dietzgenstraße auch schon eine rote Nelke entgegenleuchtete. An den Schriftsteller Adam Kuckhoff (1887-1943), der sich nach 1933 der illegalen antifaschistischen Schulze-Boysen-Harnack Organisation anschloß und zum Tode verurteilt wurde. Dabei denken wir natürlich auch an die Antifaschistin der Roten Kapelle Greta Kuckhoff (1902-1981), die nach der Befreiung im Pankower Rathaus tätig war. Für unseren Erinnerungsstrauß fanden wir eine würdige Stelle in der Kuckhoffstraße/Ecke Friedrich-Engels-Straße.

Von dort fuhren wir weiter zur Privatstraße für Dr. Johannes Kupke (1894-1988) im Ortsteil Rosenthal. Nach der Befreiung war dieser anerkannte Mediziner der erste eingesetzte Bürgermeister in Niederschönhausen. Vorher soll er mutig der anrückenden Roten Armee mit einer weißen Fahne entgegengeschritten sein und damit den Ort vor weiteren Kriegsschäden bewahrt haben.

Von Rosenthal nähern wir uns dem Pankower Ortsteil Wilhelmsruh, wo in der Hauptstraße inmitten einer kleinen Parkanlage sich ein Gedenkstein für Opfer des Faschismus befindet. Unser Fliederstrauß war hier der erste Gruß.

Nach dieser Station kamen wir am Ehrenmal für die sowjetischen Helden an. Diese Menschen trugen unter den Alliierten der Antihitlerkoalition die Hauptlast des Zweiten Weltkrieges und gaben dafür ihr Leben. 13.000 Soldaten und Offiziere der Roten Armee sind im Ehrenmal Schönholz, errichtet 1947 bis 1949, unvergessen zur letzten Ruhe beigesetzt. Noch nie ist uns das Erinnern so nahegegangen wie in diesem Jahr 2020. Da sahen wir also die Gedenkanlage vor uns, sehr gepflegt. Als wir dort ankamen, verließen gerade die offiziellen diplomatischen Vertreter der Russischen Botschaft in der BRD, die Militärangehörigen sowie Persönlichkeiten des Pankower politischen Lebens das Ehrenmal wieder. Ihre Kränze hatten sie zuvor im Freien am 33 Meter hohen Obelisken abgelegt.

Am Eingang versammelten sich indes die Besucher, im aktuell geforderten Abstand, in zwanglosen Gruppierungen, alle mit Blumen zu Gedenken. Sie schritten vorbei an der beeindruckenden Symbolfigur „Mutter Heimat um ihren gefallenen Sohn trauernd“, die Treppen hinauf zum Obelisken. Manche gingen auch in der Ehrenanlage bis zu der Stelle, wo in Berlin einzigartig der gestorbenen Zwangsarbeiter sowie der in faschistischen Lagern zu Tode gequälten Kämpfern der Roten Armee gedacht wird. Wir legten hier im Gedenken an die Opfer unseren letzten Fliederstrauß ab.

Als wir zurückgingen, kamen uns an diesem Vormittag immer noch Besucher des Ehrenmals entgegen, die diesen Feiertag dazu nutzten, hierher zu kommen. Uns begegnete auch eine Frau unseres Alters mit einem großen Rosenstrauß und einer Schleife, auf der stand: “Omas gegen Rechts”. Wenn es nicht verboten gewesen wäre, hätten wir sie umarmt.

Unser allererster Fliederstrauß bei dieser Wanderung war deshalb aber schon am 7. Mai dem Krankenarbeits- und Todeslager in Blankenfelde zugedacht gewesen. Hier wurden die Überlebenden am 21. April 1945 von den Truppen der Roten Armee befreit. Seitdem wir uns mit der Geschichte des damaligen Nazilagers beschäftigen, wissen wir, was hier für Verbrechen an eigentlich hilfsbedürftigen Ausländern wirklich begangen wurden. Konnten diese Menschen nicht mehr zur Arbeit verwendet werden, wurden sie vernichtet oder für medizinische Versuche herangezogen. Der Bildhauer und Schmied Gösta Gablick aus Rosenthal hat in einem Entwurf für einen Gedenkstein im Lager eindeutig dargestellt, wer hier inhaftiert war. Es sind die an Körper und Seele Gebrochenen und durch die Zwangsarbeit Ausgebeuteten. Schwangere ausländische Frauen brachten hier zum Teil auf dem bloßen Fußboden liegend ihre Babys zur Welt. Danach verließen sie das Lager wieder ohne ihre Kinder, die entweder als gestorben oder adoptiert aufgelistet und abgehakt wurden.

Mit dem Besuch auf der Wiese, wo sich einmal dieses Krankenlager befunden hatte, begannen wir in voller Absicht am 7.Mai 2020 zum 75.Jahrestag der Befreiung unsere Gedenkwanderung. Für uns, meinem Mann und mich, waren dieser Ort und die Zusammenkünfte des „Runden Tisches im Stadtgut Blankenfelde“ ein Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte in Pankow. Leider fanden wir die Gedenktafel beschmiert vor, BSC- und KSC-Fans hatten sich hier ausgetobt.

Erinnerungstafel für das Kriegsgefangenenlager Berlin-Blankenfelde

Diesen Bericht haben wir auch für unsere Freundin Anna Chesnovitzkaya in Hamburg geschrieben, die wir im Jahre 2005 im Schloss Schönhausen bei einer Führung kennenlernten. Ihre Mutter Elsa Burakowa (1930-2011) und deren zwei Geschwister waren als Schüler von 1948-1949 im Schloß untergebracht. Kinder von in Deutschland stationierten Offizieren der Sowjetarmee aus Berlin und Brandenburg sowie nur vorwiegend russischsprechende Emigrantenkinder wurden hier unterrichtet. Diese Anna hat viele Berichte und Originalfotos ihrer Mutter, damals in Sankt Petersburg lebend, später an uns übergeben. Wir haben dann für die Veröffentlichung der Dokumente gesorgt. Zwischen Berlin, Hamburg und Sankt Petersburg besteht ein reger Briefwechsel. Elsa Burakowa (verheiratete Bondarewa) lernten wir leider persönlich nicht kennen. Sie verstarb im Mai 2011 in der russischen Stadt an der Newa.                                               

Unsere Kindheitserinnerungen an Nachkriegsdeutschland haben wir aufgezeichnet. Ihren Töchtern Galina und Anna ermöglichten wir eine Schlossbesichtigung. Der Enkel Nikita hat mit seiner Mutter anhand der Fotos die Stellen im Park wiedergefunden, wo seine Oma als Kind hier in Berlin-Pankow abgebildet ist.

Und wir beide haben am 9. Mai 2020, zum 75. Jahrestag des Sieges, im Schlosstorhaus in einer Ausstellung (u.a. sind Schulinternat und die Familie dargestellt) in Dankbarkeit unser allerletztes Sträußchen zum Gedenken abgelegt.

Christel und Helmut Liebram

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