Im Jahre 1921 wurde der Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands gegründet und trat das Kleingartengesetz in Kraft, das heute noch seine Gültigkeit hat. Diesem Ereignis ist Band 7 gewidmet. Als Berliner Zeitzeugin des Kleingartenwesens möchte ich einige Begebenheiten schildern.
Alle meine Vorfahren waren Schäfer, Gärtner oder Landwirte. Mein Bruder und ich wuchsen in einer mittelgroßen Erwerbsgärtnerei auf und erlernten den Gärtnerberuf. Die in der Gärtnerei erzeugte Ware wurde en gros in der Großmarkthalle Friedrichstraße/Berlin sowie in den Pankower Blumenläden angeboten. Zur Laufkundschaft in Nordend gehörten Friedhofsbesucher, Laubenpieper der Umgebung und die Unterstufenlehrer, denn jede Schule hatte im grünen Bezirk Pankow einen Schulgarten. In unserer Gärtnerei wurden so im Frühjahr viele Jungpflanzen und in der anderen Zeit viele Blumen sowie Freilandgemüse verkauft.
Unsere Verwandten hatten Kleingärten. Sie oft zu besuchen, fanden wir wegen unseres Familienbetriebes jedoch wenig Zeit. Ich arbeitete nach meiner Lehre im Köpenicker Institut für Zier-Pflanzenbau und danach bewarb ich mich in Erfurt an der dortigen Gärtnerischen Fachschule. Diese Einrichtung nahm aber nur alle zwei Jahre Studenten auf, weil der Bedarf an Fachleuten angeblich auf diesem Gebiet gedeckt war. Man übermittelte meinen Antrag an die Fachschule für Pflanzenschutz in Halle, wo ich mit dem Studium sofort anfangen konnte.
Nach erfolgreichem Staatsexamen war ich als Pflanzenschutzagronomin im Oderbruch bei einer Maschinen-Ausleihstation für neun Dörfer zuständig. Also wieder intensive Pflanzenproduktion im Großmaßstab.
Ich trat der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands bei und war ehrenamtlich Abgeordnete im Kreis Fürstenwalde. Aber es zog mich nach Berlin zurück. Ich gründete hier eine Familie und hatte den Mittelpunkt meines Lebens jetzt gefunden. Die Liebe zur Natur blieb mir immer. Um einen Kleingarten in der Anlage Schönwald/Nordend bewarben wir uns, als im Jahr 1968 unsere Tochter unterwegs war. Das Kleingartenwesen stand zu dieser Zeit hoch im Kurs. Viele junge Familien verbrachten ihre Freizeit im Garten.
Unsere Wochenenden und auch Urlaube fanden seitdem dort im gesunden Grünen statt. Auf unserer Parzelle mit renovierter Laube, mit Wasseranschluss und einem neuen Lichtmast konnte sich unsere inzwischen fünfköpfige Familie erholsam aufhalten. Der Garten wurde immer schöner. Hier erlebten wir gemeinsam als Eltern und Kinder eine gute Zeit. Einmal jährlich ging es aber im Sommer zum Zelten an die Ostsee, nach Prora auf Rügen.
„Schönwald“ und alle umliegenden Kleingartenvereine hatten ihre Vereinshäuser, die bewirtschaftet waren. Dorthin kam zu bestimmten Terminen die staatliche Aufkaufstelle für Obst und Gemüse, so daß auch ältere Laubenbesitzer und solche ohne Auto überzählige Ernteprodukte abliefern konnten. Am Wochenende kam ein privater Händler und verkaufte aus dem Lieferwagen heraus Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs. Ein Eismann fuhr durch die Anlagen.
Mein Ehemann Helmut Liebram, heute 83 Jahre alt, hatte als Kind bereits in der Nachkriegszeit seinem Vater Richard im thüringischen Schrebergarten fleißig bei der Nahrungsbeschaffung für die Familie mit drei stets hungrigen Jungen aktiv und zuverlässig geholfen. Viel später hat ein Studienfreund meines Mannes aus vergangener Leipziger Universitätszeit uns zur Beschäftigung mit der Geschichte des Berliner Kleingartenwesens engagiert angeregt. Er praktizierte nämlich damals selbst in der sächsischen Messestadt diesen Ratschlag. Es gab mehrere erinnerungswürdige beiderseitige Familienbesuche. Auch die Kinder von uns Gartenfreunden waren im gleichen Alter.
Während wir bei Begegnungen unsere Parzelle als Unterkunft immer anbieten konnten, war es in der Leipziger Schreber-Anlage nicht gestattet zu übernachten oder Gäste zu beherbergen. Aber dort stand ein schönes, massives großes Vereinshaus. Und so ergab es sich, daß dieser eben erwähnte Studienkamerad und Freund Prof. Dr. Katsch mit zu den gedanklichen, wissenschaftlich-historischen Vätern eines Kleingartenmuseums für Deutschland gehört. Er suchte gleich anfangs Verbündete für das zukünftige Berliner Zimmer.
Manche Stunde haben wir hier in Berlin darüber nachgedacht. Es könnte eine typische Innenansicht einer historischen Traditionslaube mit original Berliner Inventar sowie Utensilien sein. Das angedeutete Laubenfenster zeigt den Blick auf die Großstadt Leipzig und im Vordergrund auf dem Gemälde ist zu sehen, wie die Frauen mit den Mädchen in lang vergangener Zeit auf der Spielwiese in der Kleingartenanlage Schreber Reigenspiele aufgeführt haben. Dieses Kunstwerk hat die Pankower Malerin Olga Heinemann auftragsgemäß geschaffen.
Weiter zur Gestaltung des Berliner Zimmers im Museum. Der Gartenfreund Willi Ebeling trug neben vielen seiner anderen Aktivitäten dazu eine typische Berliner Drehorgel zu besorgen, die auch zur Ausstellungseröffnung spielte und wir tanzten dazu eine flotte Polka. Natürlich gehörte auch Frau Karin Sahn vom damaligen Kreisverband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter Pankow zu den Engagierten. Sie trug als einstige Studentin in Leipzig zur Publikationsreihe „Wissenschaftliche Schriften des Deutschen Kleingärtnermuseums Leipzig“ aktiv bei. Wir waren viele interessierte Hobbygärtner, die sich dann im Förderverein „Deutsches Museum der Kleingärtnerbewegung Leipzig e.V.“ zusammenfanden. Als Mitglieder haben mein Mann und ich die Beitrittsnummer 46 und das Datum 2012. Das Museum ist jährlich im Januar auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin präsent.
Überhaupt ist es gut und beachtenswert, dass wir im Jahr 2021 den 100. Jahrestag des Kleingartengesetzes feiern können. Die Zeit ist aber inzwischen nicht stehen geblieben. Unserer von uns persönlich seit 1968 genutzten Parzelle wurde von der BVV Pankow mit einigen anderen Kleingartenvereinen der Kleingartenstatus aberkannt. Unsere Gärten sind nun Erholungsgärten, haben keinen Kündigungsschutz, sind sozusagen Bauerwartungsland.
Noch sind wir geblieben, lesen die Monatszeitung „Gartenfreund“ und arbeiten ehrenamtlich im Landesverband beim Jahrbuch des Kleingärtners nach wie vor mit. Als Chronisten finden wir viele Beispiele in Pankow, wo zu allen Zeiten Kleingärtner dem Neubau weichen mussten.
Der Pankower Schriftsteller Karl Grünberg, bekannt durch den Roman „Brennende Ruhr“, hat dieses Werk in einer Gartenlaube geschrieben. Er wohnte vorher mit seiner Frau zur Untermiete und hatte keine Möglichkeit, für seine Familie eine preiswerte Wohnung zu finden. Er baute ein Gartenhaus winterfest aus. Dort kam die Tochter Hella zur Welt. Als sie fünf Jahre alt war, kaufte die große Wohnbaugesellschaft Gagfah das Laubengelände. Innerhalb eines Vierteljahres musste geräumt werden. In der Kleingartenkolonie „Alte Baumschule“ konnten die Eltern eine Parzelle erwerben. Aus den Abrissen entstand die neue Sommerlaube. 1929 erschien der fertiggestellte Roman „Brennende Ruhr“ im Greifenverlag in Rudolstadt. Und ab Ostern 1931 kam die kleine Hella auf die Lebensgemeinschaftsschule in Berlin-Niederschönhausen, nahe der Gartenlaube.
Ein anderes Beispiel ist die Anlage Kissingen II. Sie lag, wie der Name vermuten läßt, im heutigen Pankower Kissingenviertel. Hier wurde ab 1906 ein großes Wohngebiet angelegt. 1927 musste dann die Kleingartenanlage endgültig weichen. Kissingen zog mit 108 Parzellen um und nahm den Namen mit nach Rosenthal, nun „Kissingen II“. Es entstanden von 1925 bis 1927 und in den dreißiger Jahren um die 1910 gebaute katholische Kirche am Kissingenplatz Siedlungsbauten. Ähnliche Wohngebiete errichtete man auch zu DDR-Zeiten. Beim Entstehen des Hans-Loch-Viertels im Stadtbezirk Lichtenberg wurde dabei besonders einschneidend auf Kleingartenflächen zugegriffen. Hans Loch war ein führendes Mitglied der LDPD (Liberal Demokratische Partei Deutschlands).
Heutzutage gibt es nicht nur die Kleingartenbewegung mit ihrem hundertjährigem noch gültigem Kleingartengesetz. Besonders in den Großstädten, aber auch in den Landgemeinden werden viele Formen der ehrenamtlichen Freizeitgestaltung zum Erhalten der heimatlichen Natur entwickelt. Die Umwelt wird mit guter Absicht engagiert unter Schutz gestellt. Wir alle versuchen auf die Auswirkungen des Klimawandels zu reagieren. Möge es auch zukünftig gelingen, uns nicht zu ignorieren, sondern zu informieren und zu aktivieren.
Christel Liebram
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